“Es ist so wichtig, sein inneres Kind nicht zu verlieren.”
Über zwanzig Jahre lang lebte Miriam mit einer unsichtbaren Last. Nach außen hin wirkte sie funktional, engagiert und leistungsfähig. Doch hinter dieser Fassade kämpfte sie täglich mit Selbstzweifeln, Erschöpfung und dem Gefühl, nichts wert zu sein. Ihre Geschichte beginnt mit jahrzehntelanger Mobbing-Erfahrung am Arbeitsplatz und einer versteckten Depression, die sich immer weiter verstärkte.
Zwischen Pflichtgefühl und innerer Leere
Schon sonntagabends spürte Miriam eine tiefe Anspannung. Trotz eines wunderschönen Wochenendes mit ihrem geliebten Vater, den sie aufgrund der weiten Entfernung nicht so häufig sehen konnte, kippte ihre Stimmung, je näher der Beginn der Arbeitswoche rückte. Während andere das Wochenende entspannt ausklingen ließen, bereiteten ihr allein die Gedanken an den bevorstehenden Montag Angst und starke Magenkrämpfe. Vor allem ihr Gedankenkarussell nahm Fahrt auf, als sie am Sonntagabend im Bett lag.
Miriam erzählte uns ganz offen von ihrer negativen Gedankenspirale, aus der sie schlichtweg nicht herauskam:
“Ich liege abends im Bett und dann kommen die Gedanken, die mich stundenlang wachhalten. Ich bin ein Versager, ich bin nichts wert, wieso mag mich keiner, ich verdiene es nicht, geliebt zu werden.”
Ganz rational wusste Miriam natürlich, dass diese Gedanken nicht stimmen und dass sie vor allem in ihrem Familien- und Freundeskreis Personen hat, die sie lieben und unterstützen. Aus dem Gedankenkarussell konnte sie trotzdem nicht ausbrechen.
Trotz dieser starken Symptome ließ sich Miriam fast nie krankschreiben. Im Job funktionierte sie, doch sobald sie nach Hause kam, überrollten sie die Emotionen. Sie weinte fürchterlich, fühlte sich leer und allein. Es dauerte eine Weile, bis sie verstand, was mit ihr los war. Erst in einem Gespräch mit einer Ärztin fiel zum ersten Mal ein Begriff, der alles auf den Punkt brachte: “Hochfunktionale Depression”. Es war keine typische Depression, wie sie im Buche steht. Die Ärztin erklärte ihr, dass es sich dabei um eine Form der Depression handelt, bei der Betroffene im Alltag scheinbar gut funktionieren. Sie gehen zur Arbeit, erledigen Aufgaben, treffen Freunde und Freundinnen. Miriam arbeitete sogar ehrenamtlich in der Kirche und liebte es, regelmäßig nach Neuseeland zu reisen. Doch innerlich machten sich dieselben Symptome bemerkbar wie bei Menschen mit offensichtlichen depressiven Verläufen. Niedergeschlagenheit, Selbstzweifel, innere Unruhe und eine Reihe an körperlichen Beschwerden.
Für Miriam war diese Diagnose fast eine Erleichterung. Sie fühlte sich endlich verstanden in einem Zustand, der oft unsichtbar bleibt, gerade weil er von außen nicht als „krank“ wahrgenommen wird.
“Und das ist das Schwierige an psychischen Problemen. Wenn sich jemand den Arm bricht, dann sieht jeder, dass man eingeschränkt ist. Das tut man bei seelischen Problemen nicht.”
Sich zeigen und gesehen werden
Miriam erkannte, dass es kein Zeichen von Schwäche ist, Hilfe zu brauchen, sondern ein wichtiger Schritt, um wieder gesund zu werden. Sie wusste, dass sie aktiv werden musste, damit es ihr besser gehen würde. Sie entschloss sich, das Gespräch mit ihrem Chef zu suchen. Der zeigte Verständnis, indem er ihr die Möglichkeit gab, mehr im Homeoffice zu arbeiten. Miriam erlebte, dass eine transparente Kommunikation über ihren Zustand enorm wichtig ist und viel bewirken kann. Sie versammelte einen Teil ihres Kollegiums, sprach offen über ihre Diagnose und erklärte, dass ihr leerer Blick, den sie ab und zu auf der Arbeit hatte, kein Desinteresse am Gespräch mit ihrer Kollegin bedeutete, sondern ein Symptom ihrer Erkrankung ist. Dabei empfiehlt Miriam ganz klar, in Ich-Botschaften zu sprechen und konkrete Lösungen anzubieten. Eine dieser Lösungen sah für sie so aus: Statt auf eine Anfrage von ihrem Chef oder einer Kollegin direkt zu reagieren, bittet sie um einige Minuten Bedenkzeit. Das schafft Raum, um sich zu sammeln, ohne unter Druck zu geraten.
Die Kommunikation über ihr Befinden ist natürlich alles andere als einfach. Immer noch lernt Miriam dazu und springt über ihren Schatten, ihr Umfeld über ihre Diagnose aufzuklären. Es fällt ihr nach wie vor nicht immer leicht, offen über ihre Gefühle zu sprechen. Sie weiß, dass es auch schwierig für die Menschen in ihrem Umfeld sein kann, mit ihrer Depression einen guten Umgang zu finden. Sie hat sich auch nicht immer richtig gegenüber ihrem geliebten Vater, ihrer engsten Bezugsperson, verhalten.
“Es sind oft die Menschen, die einem am nächsten stehen, die man am meisten anfährt und die am meisten mitmachen müssen."
Was hilft, wenn es schwer wird
Trotz allem findet Miriam immer wieder kleine Kraftquellen. Das Schreiben von Kindergeschichten, ihr Engagement in der Kirchengemeinde und regelmäßiger Sport helfen ihr, für einige Momente Abstand vom inneren Druck zu gewinnen und das schöne Gefühl zu genießen, gebraucht zu werden. Besonders das Boxen wurde für sie zu einer wichtigen Kraftquelle und repräsentiert nun einen Ort, an dem sie sich auspowern, loslassen und für sich selbst kämpfen kann.
Mit Tee und Therapie: Ein Ritual, das Halt gibt
Miriam hatte zu dem Zeitpunkt schon so vieles aus eigener Kraft geschafft. Sie merkte, dass Routinen ihr halfen, wusste aber auch, dass professionelle psychologische Unterstützung bei einer Depression unumgänglich ist. Bei ihrer Recherche stieß sie auf deprexis – ein digitales Therapieprogramm, das sofort und kostenfrei für gesetzlich Versicherte zugänglich ist.
Von Anfang an hatte sie das Gefühl, dass das Programm sie wirklich „sah“. Es passte sich individuell an, lernte ihre Bedürfnisse kennen und bot Übungen, die genau da ansetzten, wo sie Hilfe brauchte. Das war genau das, was sie benötigte: Einfache Lösungen und Strategien für ihren Alltag, damit sie sich besser fühlt.
Sie schuf sich ein kleines Ritual, um deprexis so gut wie möglich in ihren Alltag zu integrieren. Nach dem Sport setzt sie sich jeden Freitag mit einer Tasse Tee auf ihr Sofa und nutzt deprexis für ein bis zwei Stunden, je nachdem, wie viel Unterstützung sie in dem entsprechenden Thema gerade braucht. Die Inhalte bewegten sie von Beginn an so sehr, dass sie sich ein eigenes Therapieheft anlegte, um ihre Erkenntnisse festzuhalten.
Besonders hilfreich war für sie die Audio-Übung des Perspektivwechsels. Statt sich in Gedankenspiralen zu verlieren, lernte sie, von außen auf ihre Situation zu schauen:
“Die Vogelperspektive war sehr hilfreich. Ich habe mir vorgestellt, ich wäre ein Adler und von oben ist alles so winzig.”
Auch ihr Selbstbild begann sich langsam zu verändern. Sie verstand, dass sie anderen Menschen Fehler verzeihen konnte, für ihr eigenes Wohlbefinden, was unglaublich stark ist. Miriam berichtete uns:
“Meine Freundin sagt immer zu mir, ich verzeihe anderen so vieles, warum kann ich das nicht bei mir selbst.”
Genau dieses Thema ging sie mit deprexis an. deprexis half ihr dabei, mehr Selbstmitgefühl zu entwickeln und liebevoller mit sich selbst umzugehen. Miriam erkannte, dass sie nicht nur ihre Gedanken verändern, sondern auch ihre Haltung zu sich selbst überdenken konnte. Wie beim Boxen, wo sie die Taktik wechselte, wenn eine Technik nicht funktionierte, begann sie auch im Alltag, alte Denkmuster loszulassen.
Heute spricht Miriam offen über das, was sie erlebt hat. Sie weiß, wie wichtig Kommunikation und Selbstmitgefühl sind und wie heilsam es sein kann, wenn man sich selbst nicht mehr als schwach empfindet. Sie ist überzeugt: Wer sich Hilfe holt, zeigt Stärke.
Auf die Frage, was Miriam anderen Betroffenen mit auf den Weg geben möchte, sagte sie:
“Es ist so wichtig, sein inneres Kind nicht zu verlieren.”