“Nach einem 8-stündigen Arbeitstag konnte ich meine Wohnung nicht mehr verlassen. 14 Monate lang nicht. Ich konnte nicht mehr richtig denken.”
Es gibt diese Momente, in denen selbst die kleinsten Dinge zur größten Herausforderung werden. In denen die Hoffnung schwindet und jeder Schritt zur Last wird. Georg Dausel, 55 Jahre alt, Vater von drei erwachsenen Kindern, kennt diese Momente. Er hat sie durchlebt und das sogar mehrfach. Doch das letzte Mal war anders, irgendwie intensiver und das Loch war noch tiefer. 15 Monate hat seine depressive Phase gedauert. Doch heute geht es Georg „so gut wie seit Jahren nicht mehr“.
Ein Entwicklungshelfer-Einsatz in Afrika und der tiefe Fall danach
Georg arbeitet seit über 25 Jahren in der Qualitätssicherung im Maschinenbau, ein Beruf, der Präzision verlangt. Die Verantwortung ist hoch, der Ton oft rau, der Druck groß. Die tägliche Arbeit bereitete ihm meistens Freude, verlangte ihm aber auch viel ab. Umso wertvoller war für Georg die Möglichkeit, einmal ganz aus seinem gewohnten Umfeld auszubrechen und neue Kraft zu schöpfen. Über seine Kirchengemeinde bekam er die Anregung, sich an einem vierwöchigen Entwicklungshelfer-Einsatz in Sierra Leone zu beteiligen. Dort bildete Georg im Herbst 2023 20 junge Männer erfolgreich in einer Metallwerkstatt aus. In seinen freien Stunden half er bei gesundheitlichen Beschwerden, betete und spielte mit ihnen Frisbee und Tischtennis. Am Abschlusstag tanzten sie zusammen. Georg war voll und ganz in seinem Element. Noch heute berichtet er mit großer Begeisterung von seiner Zeit in Westafrika.
Doch die Rückkehr nach Deutschland kam anders als erwartet. Am Sonntag noch gelandet, stand Georg am Montagmorgen um 6 Uhr schon wieder am Arbeitsplatz – ein Kulturschock nach seiner ehrenamtlichen Tätigkeit.
Nur eine Woche später fühlte er sich zunehmend unwohl:
“Ich hatte so ein Gefühl schon ein paar Mal, eine Art Krisengefühl oder dass mir die ganze Lebenshoffnung schwindet.”
Ein bekannter Schmerz, aber diesmal kam er stärker
Es war nicht Georgs erste depressive Phase. Er hatte solche Krisen schon mehrfach erlebt, ausgelöst durch belastende Lebensereignisse, doch diesmal war es noch intensiver. Freude, Antrieb und Hoffnung waren plötzlich verschwunden.
Georg erinnert sich zurück und berichtet von seinem Zustand:
“Ich musste mich überwinden, überhaupt was zu essen. Das habe ich so weit hinausgezögert, bis ich den Hunger nicht mehr ausgehalten habe. So deprimiert war ich.”
Wenn seine Geschwister angerufen haben, blockte Georg ab und gab vor, wegen der Arbeit keine Zeit zu haben. Er fand immer eine Ausrede, um Menschen aus seinem Umfeld nicht treffen zu müssen. Es war wie eine Spirale, die immer weiter ins Negative ging.
Seine Gedanken wurden immer dunkler:
“Ich habe nur noch schwarz gesehen für die Zukunft. Auch meine Vergangenheit mit dem Entwicklungshelfer-Einsatz habe ich in Frage gestellt. Ich habe meine Kinder in Frage gestellt, meine Geschwister, meine Eltern, meine ganzen Beziehungen, meine ganzen Freundschaften. Ja, es war furchtbar.”
Trotzdem versuchte Georg zu funktionieren und erschien jeden Tag bei der Arbeit. Er wollte um jeden Preis vermeiden, sich wegen seines mentalen Zustandes krankschreiben zu lassen. Natürlich blieb sein leerer Blick und seine Verschlossenheit nicht unbemerkt. Seine Kollegen sprachen ihn darauf an, doch Georg wich jedes Mal aus. Er zog sich immer mehr zurück und vermied sowohl private als auch fachliche Gespräche. Sobald er zuhause war, bewegte er sich nicht mehr vom Sofa weg, wollte niemanden sehen und verließ das Haus nicht. 14 Monate lang.
Zwischen Tabus, Vorurteilen und ungefragten Ratschlägen
Wie viele andere Betroffene wollte auch Georg lange nicht wahrhaben, dass er unter einer Depression litt. Zwei Monate vergingen, in denen er innerlich immer weiter abrutschte. Mit jemandem über seine mentale Verfassung zu sprechen, kam für ihn nicht infrage – aus Angst, Schwäche zu zeigen.
„Ich bin doch ein Mann, ich halte das aus“, dachte er. Ein Satz, der noch immer tief in gesellschaftlichen Rollenbildern verankert ist und der vielen Männern den Weg aus der Depression erschwert.
Nicht nur Georg selbst sprach sich den Ernst seiner Erkrankung ab. Auch sein Umfeld reagierte teilweise mit Unverständnis: „Reiß dich zusammen“, „Das wird schon wieder“, „So schlimm kann es doch nicht sein.“ Alles gut gemeinte Ratschläge, aber für Georg in dem Moment keine echte Hilfe. Das Problem ist nicht nur die Krankheit selbst, sondern auch die Reaktion des eigenen Umfelds darauf. Das macht es schwerer, sich Hilfe zu suchen und offen darüber zu sprechen.
Die Kraft, Hilfe anzunehmen
Ob Weihnachten oder Geburtstagsfeiern, Georg merkte, dass ihm selbst Familienfeste, die ihm eigentlich immer so viel Freude bereiteten, zunehmend zu viel wurden. Das war letztendlich der Punkt, an dem er realisierte, dass er wirklich professionelle Unterstützung braucht. Auf Anraten seines Vaters ging Georg zu seinem Allgemeinarzt. Dieser verschrieb ihm deprexis, ein digitales Therapieprogramm. Ab dem ersten Tag nutzte Georg die digitale Therapie gewissenhaft und ließ sich auf jede Übung ein.
Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten: Das Programm half ihm, schon in den ersten Wochen nach dem Start, seine negativen Gedankenspiralen zu erkennen und zu durchbrechen. deprexis erinnerte ihn daran, wieder spazieren zu gehen, neue Perspektiven einzunehmen, Verantwortung abzugeben und sich bei lieben Menschen aus seinem Umfeld zu melden. Ein Gedanke aus deprexis blieb ihm besonders im Kopf: „Ich bin gut und liebenswert – genauso, wie ich bin.“
Für Georg war deprexis nicht nur eine digitale Hilfe in schlechten Zeiten, sondern eine Brücke zurück zu seinem christlichen Glauben, zu seiner Kraft und zu seiner Lebensfreude.
“In meiner Depression war deprexis mein Anker.”
Zurück im Leben und in der Natur
Heute geht Georg wieder regelmäßig spazieren. Raus in die Weinberge, über weitläufige Wiesen, an goldgelben Weizenfeldern vorbei. Auch das Radfahren und Schwimmen sind in seinen Alltag zurückgekehrt – kleine, aber für ihn bedeutsame Rituale. Der Stress des Tages wirkt so nach wenigen Minuten wie weggeblasen. Und noch etwas hat sich verändert. Seine Sichtweise auf Arbeit, auf Stress und auf das, was wirklich zählt. Von seinem hohen Leistungsanspruch versucht er sich mehr und mehr zu verabschieden.
Aus deprexis hat er eine neue Perspektive mitgenommen:
„Ich stelle mir meine Arbeit jetzt wie einen Kinofilm vor. Ich sitze im Saal und beobachte. Wenn es zu viel wird, verlasse ich gedanklich den Raum. Und das funktioniert.“
Georg hat einen langen Weg hinter sich, voller Höhen, Tiefen, Rückschläge und Erfolge. Und er weiß, wie schwer es ist, sich einzugestehen, dass man Hilfe braucht. Was er sich heute wünscht? Dass er früher verstanden hätte, wie wichtig es ist, auf das eigene Empfinden zu hören und zu handeln, bevor sich die Abwärtsspirale immer weiter dreht. Kein Leid ist zu klein, um sich Hilfe zu holen.
Deshalb zögert er heute nicht mehr, auch anderen Hilfe zu empfehlen.
„Wenn ich weiß, dass sich jemand, den ich gut kenne, in einer Krise befindet, würde ich immer deprexis empfehlen.“
Für ihn war es ein Wendepunkt, weil es ihm ermöglicht hat, sich selbst zu verstehen, neue Wege zu gehen und sich Stück für Stück zurück ins Leben zu kämpfen. Georgs Geschichte zeigt, wie lähmend eine Depression sein kann. Auch wenn man im Alltag scheinbar funktioniert, ist es wichtig, das Schweigen zu brechen und sich selbst ernst zu nehmen.
“Es ist so wichtig, direkt zu handeln.”